Regiestatement

Alle meine Dokumentarfilme sind politisch und erzählen vom Widerstand, obwohl ihr Ausgangspunkt immer ein persönlicher ist: Meine Familie, meine „Mutter-Sprache“, der Verlust von Familienmitgliedern, der Verlust von Sprache, auch der Verlust von Erinnerung. Aber meine Dokumentarfilme handeln nicht nur vom Widerstand, sie sind an sich eine Form des Widerstands: Sie widerstehen dem Vergessen und Verdrängen. Sie bewahren Menschen und Geschichten davor, vollkommen ausgelöscht zu werden. Sie holen sie zurück in das öffentliche Bewusstsein, weil sie dorthin gehören. Weil sie Teil der österreichischen Geschichte sind, Teil der europäischen Geschichte, Teil der Weltgeschichte. Meinen ersten kurzen Dokumentarfilm Andri 1924 – 1944 habe ich mit Anfang zwanzig über meinen Großonkel Andri gemacht. Einen Großonkel, den ich nie kennenlernen konnte, weil er im Alter von 20 Jahren ermordet wurde. Er war aus der Wehrmacht desertiert und hatte sich den Partisanen angeschlossen. Im November 1944 wurde seine Partisaneneinheit von deutschen Truppen angegriffen. Mein Großonkel wurde gefoltert, bevor er mit einem Kopfschuss getötet wurde. In dem Film erzählte meine Oma als Zeitzeugin. Sie selbst wurde als Mädchen mit ihrer Mutter und den Schwestern in ein deutsches Arbeitslager deportiert, der Vater und ein Bruder waren im KZ Dachau, der dritte Bruder wurde mit 17 Jahren zwangsrekrutiert und starb an der Front. In diesem Film geht es auch um die Leerstellen, die durch Andris Ermordung und die Deportation der Familie entstanden sind. Leerstellen, die nicht mehr gefüllt werden können, Fragen, auf die man keine Antwort mehr bekommen kann. Wegen dieser Leerstellen wollte ich mehr über den Widerstandskampf der Partisaninnen und Partisanen erfahren – vor allem über die persönlichen Beweggründe, über den Alltag im Wald, über all das, wovon man am wenigsten weiß, habe ich meinen zweiten Dokumentarfilm „Der Kärntner spricht Deutsch“ gedreht.
In diesem Film erzählen nicht nur Partisanen, es erzählen auch Kärntner Slowenen und Sloweninnen, die in Konzentrationslager deportiert wurden und mit Ciril Sadovnik erzählte auch ein Überlebender des Massakers am Peršmanhof. Er erlebte damals, 1945, als Kind, wie beinahe seine ganze Familie von einer SS-Einheit ermordet wurde und er half seiner schwer verletzten Cousine dabei zu entkommen. Bei diesem Film spürte ich eine sehr starke Verantwortung für die Menschen vor der Kamera. Für viele war das Erzählen schmerzhaft, fast alle erzählten zum ersten Mal vor einer Kamera und sie taten es auch, weil sie nicht wollten, dass alles vergessen wird. Danach dachte ich, dass das für mich der letzte Dokumentarfilm war, der sich mit diesen Themen befasste. Auch weil die meisten ZeitzeuigInnen ja damals schon sehr betagt waren und es nicht leicht gewesen war, überhaupt Kärntner Partisanen zu finden, die bereit waren vor der Kamera zu erzählen und es auch gesundheitlich noch konnten. (Eine weibliche Partisanin zu finden, die bereit gewesen wäre teilzunehmen, war mir leider gar nicht mehr gelungen.) So kam der Anstoß für Verschwinden / Izginjanje von außen. Der Historiker und Universitätsprofessor Oliver Rathkolb kontaktierte mich Anfang 2017 mit der Frage, ob ich nicht Interesse hätte, einen Dokumentarfilm über die Geschichte von Keutschach zu machen. Er wusste damals nicht, dass Keutschach/Hodiše mein „Heimatort“ ist, der Ort an dem ich aufgewachsen bin und an dem meine Familie, die ich oft besuche, heute noch lebt. Was ich nach kurzer Überlegung an der Geschichte Keutschachs am unglaublichsten und interessantesten fand, ist die Tatsache, dass um 1910 noch über 95 Prozent der Bevölkerung Slowenisch sprach, die Meisten konnten gar kein Deutsch. Etwas mehr als hundert Jahre später ist es genau umgekehrt: Die Zahl derer, die noch slowenisch spricht, liegt im einstelligen Bereich. Es gibt nichts, das darauf hinweist, dass dieses Dorf einmal fast vollkommen slowenisch war und auch nichts, das darauf hinweist, dass es die slowenische Volksgruppe heute in Keutschach/Hodiše noch gibt. Der Ort ist auch insofern besonders, weil er keine Ortstafel hat. Die zweisprachige
Ortstafel, die 1972 aufgestellt wurden und kurz darauf beim „Ortstafelsturm“ vom deutschnationalen Mob niedergerissen wurde, wurde nie wieder aufgestellt. Die Politik hat es seit inzwischen 50 Jahren verabsäumt, das Unrecht von damals wieder gut zu machen und die Rechte, die der Minderheit laut Staatvertrag zustehen, auch umzusetzen. So hat Keutschach bis heute zwar gar keine Ortstafeln, es gibt aber Willkommensschilder und Richtungsweiser, alle nur auf Deutsch. Genauso wie alle Aufschriften auf öffentlichen Gebäuden ausschließlich deutsch sind. Man tut einfach so, als gäbe es keine slowenische Volksgruppe. Einerseits ist die Geschichte Keutschachs repräsenativ und symptomatisch für ganz Südkärnten, andererseits fehlt in Keutschach aber doch einiges, wovon ich auch erzählen wollte. Zum Beispiel vom Widerstansgeist der slowenischsprachigen Studentinnen und Studenten, die sich politisch organisieren und versuchen, gegen die Missstände in der Minderheitenpolitik anzukämpfen. Gleichzeitig näherte sich mit dem Jahr 2020 das 100. Jubiläum der Kärntner Volksabstimmung vom 10.10.1920. Es war klar, dass das Land Kärnten dieses Jubiläum groß begehen würde, aber auch, dass es Proteste geben würde. Meine Hoffnung war, dass sich in diesem Jubiläumsjahr politisch einiges bewegen würde, was dem Fortbestand und der Sichtbarkeit der slowenischen Volksgruppe in Kärnten zugute kommen würde. Letztlich hat sich aber viel weniger bewegt als erhofft und auch davon erzählt der Film. Die Entscheidung vom Jubiläumsjahr und den Feierlichkeiten sowie von den Protesten erzählen zu wollen, war auch eine klare Entscheidung von Keutschach ausgehend den Blick auf ganz Südkärnten zu richten, auf die Geschichte der letzen hundert Jahre und dabei einen Ausblick in die Zukunft zu geben. So wurde der Film viel umfassender, als ich es ursprünglich vorhatte. Natürlich hat auch die Pandemie den Film geprägt und geformt, denn manches, das ich ursprünglich drehen wollte, war so nicht mehr möglich und andere Drehs waren nur nach langer Wartezeit und unter Einhaltung von vielen Maßnahmen möglich.
Zu all dem kam, dass ich während des Drehs erfuhr, dass das Haus meiner Oma, die 2013 gestorben ist, abgerissen werden sollte, weil mein Cousin und sein Frau dort ein neues Haus bauen wollten. Die slowenische Sprache war und ist für mich auch ganz stark verbunden mit meiner Oma. Es war mir immer unmöglich gewesen, Deutsch mit ihr zu sprechen, selbst dann, wenn Leute dabei waren, die uns nicht verstanden. Und so ist es jetzt auch mit meinem Sohn, der während der Arbeit an diesem Film zur Welt kam: Ich könnte gar nicht Deutsch mit ihm sprechen, selbst wenn ich es wollte. Obwohl inzwischen mein Deutsch fließender ist als mein Slowenisch. So verbanden sich die politischen und historischen Ausgangspunkte mit dem Jubiläumsjahr – in dem in Kärnten die deutschnationalen Verbände besonders oft aufmarschierten –, mit dem Haus meiner Oma und mit unserer Familiengeschichte hin zu meinem Sohn und den nächsten Generationen. Ich war nicht sicher, ob und wie es gelingen könnte, all das in einem Film zu verbinden, der trotzdem wie aus einem Guss sein sollte. Die andere große Herausforderung war es, einen Film zu machen, der notgedrungen sehr informativ sein muss – weil die Menschen in Österreich und dem Rest der Welt nichts über die slowenische Volksgruppe wissen – der aber gleichzeitig filmisch, visuell, berührend und spannend sein sollte. So war es mir wichtig, dem Film eine Bildsprache zu geben, die zwar formal konsistent aber nicht einengend ist; einen dramaturgischen Bogen zu entwickeln, in dem Geschichte durch persönliche Erzählungen greifbar wird und der dabei die Gegenwart nicht aus den Augen verliert sowie durch einen punktuellen, möglichst minimalistischen Einsatz von Archivmaterial und Sounddesign neue, vielleicht überraschende Tonalitäten zu erzeugen. Dabei gilt mein Dank allen, die an diesem Film mitgewirkt haben und dazu beigetragen haben und ich hoffe, dass der Film gesehen werden wird.

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